Soziale Kontakte der Freilerner

„Den Kindern fehlen doch als Freilerner soziale Kontakte!“ – wie oft haben wir schon diese Aussage gehört? Ziemlich oft würde ich sagen. Vor allem von den Großeltern kam mehrfach diese sorgenvolle Aussage. Und stimmt es denn, dass unsere Kinder als Freilerner keine sozialen Kontakte haben? Definitiv nicht!

Soziales Lernen unter Geschwistern

Seit Beginn unserer Reise, nein eigentlich schon seit Corona, spielen unsere drei Kinder viel intensiver und harmonischer miteinander als zuvor. Sie liefen während des Lockdowns tagelang durchs Haus, verkleidet als Polizisten, Indianer, Mütter, Väter, Kinder usw. und spielten sämtliche Rollenspiele durch. So intensiv und harmonisch hatte ich sie lange nicht mehr miteinander spielen sehen. Mann, war ich froh, dass die drei sich hatten!

Auch seitdem wir sie ganz aus der Schule genommen und unsere Reise angetreten haben, spielen sie sehr intensiv die kreativsten Rollen. Sie tauchen ein in die Charaktere von Detektiven, von Spurensuchern und Abenteurern. Dabei genießen sie ihre Freiheit, lernen viele soziale Kompetenzen kennen, streiten natürlich auch mal und lernen gegenseitige Rücksichtnahme. Sind denn die eigenen Geschwister keine sozialen Kontakte? Kann man im Spiel mit den eigenen Geschwistern nicht die selben Kompetenzen erlangen, wie mit Mitschülern?

Geschwisterliebe

Vernetzung der Freilerner

Es gibt während unserer Reisen tatsächlich lange Phasen, in denen unsere Kinder wirklich nur sich gegenseitig als Spielpartner haben. Diese Phasen sind anfangs sehr harmonisch. Je länger sie jedoch andauern, desto offensichtlicher wird es, dass sie auch andere Spielpartner brauchen.

Darauf gehen wir dann ein. Die Welt der Freilerner ist zum Glück sehr gut miteinander vernetzt. So treffen wir unterwegs einige neue Familien oder verabreden uns mit welchen, die wir schon kennengelernt haben. Daher gibt es für uns als Familie eine schöne Abwechslung zwischen ruhigen Tagen, die wir als Familie für uns verbringen können und Tagen, die wir gemeinsam mit anderen Familien erleben. Die Kinder toben mit den anderen Kindern, fahren Fahrrad, erforschen gemeinsam Dinge, bauen Buden und erleben abenteuerliche Erkundungstouren. Auch für uns Erwachsene sind solche Begegnungen und Treffen sehr gewinnbringend und bedeutsam. Wir sind oftmals mit den anderen Familien auf einer Wellenlänge, haben ähnliche Themen und können so tiefgründige Gespräche führen. Es ist nämlich auch für uns Erwachsene wichtig, dass wir auf Reisen nicht nur unseren Ehepartner als Gesprächspartner haben, sondern soziale Kontakte unterwegs pflegen. Auch wir wollen uns austauschen, neue Leute kennenlernen oder bekannte Gesichter treffen. Deswegen ist es uns auch wichtig, dass wir auf unseren Reisen nicht nur als Eigenbrötler irgendwo herumdümpeln sondern mit anderen Familien im Austausch sind und uns mit ihnen verabreden.

Soziale Kontakte: Interaktionen der Freilerner

Bei solchen Treffen sind unsere Kinder sehr intensiv mit ihren Freunden im Spiel. Dabei lernen sie im Gruppengefüge so viele soziale Kompetenzen, von denen ich behaupten würde, dass sie diese nicht in einer Schule mitbekommen würden. Oftmals entstehen richtige Projekte, wie das Bauen von Tipis (da ist schon fast ein ganzes Dorf entstanden) oder das Aufnehmen eines Filmes. Die Kinder organisieren sich untereinander, verteilen Rollen, gehen Kompromisse ein und beachten gegenseitig ihre Bedürfnisse und Wünsche. Dabei sind Altersunterschiede und Geschlechter oftmals total egal. Auf welchem Schulhof kann man so etwas bitteschön beobachten? Erstens sind die Pausen viel zu kurz, um längere Projekte entstehen zu lassen. Zweitens gibt es in Schulen meistens schon gebildete Grüppchen, die sich nicht wirklich mit den anderen zusammentun um mit ihnen zu spielen. Somit ist der Wechsel der sozialen Kontakte in der Schule sowieso sehr eingeschränkt.

Unsere Kinder lernen aber auf unseren Reisen immer wieder neue Kinder kennen, finden sich neu zusammen und sammeln so ein großes Repertoire an sozialen Kompetenzen an. Denn immer wieder gibt es neue Charaktere, auf die sie sich einlassen, immer wieder lernen sie neue Eigenschaften und Verhaltensmuster der anderen Kinder kennen. Immer wieder lernen sie, sich an neue Situationen anzupassen, sich durchzusetzen oder sich in die Gruppe einzufügen.

Konflikte unter Freilernern

Dabei kommen natürlich auch mal Probleme auf. Es gibt auch unter Freilernern Streit, wenn einer etwas anderes spielen will als die anderen, sich ausgeschlossen fühlt oder auch mal bestimmen will und und und. Aber nach unseren Erfahrungen gibt es viel schnellere und vor allem friedlichere Lösungsansätze der Kinder untereinander, ohne dass man als Erwachsener groß einschreiten muss. Solche Konfliktlösungen habe ich an Schulen bisher nicht beobachten können. Oftmals gibt es dort sogar viel größeres Konfliktpotential, weil die Kinder sich eben nicht selber ihre Spielpartner auswählen können. Sie sind ja in einer Gruppe untergebracht und müssen den Tag dort irgendwie gemeinsam verbringen. Unter den reisenden Freilernern können unsere Kinder sich ihre Spielpartner selbst aussuchen. Wenn gerade mehrere Kinder zusammen in einer Gruppe spielen, können sich diejenigen auch raus nehmen, die sich überreizt fühlen. Wenn ein Kind mal keine Lust auf eine größere Gruppe hat, kann es mit nur einem Kind spielen oder sich einfach zurückziehen und etwas für sich machen.

Sich selbst kennenlernen

Und das ist in meinen Augen auch der große Vorteil an den reisenden Freilernen: Durch das Kennenlernen von so vielen unterschiedlichen Charaktereigenschaften und -typen lernen unsere Kinder sich selbst noch viel besser kennen als in einer Schule. Sie müssen sich nicht anpassen, wenn sie nicht wollen. Sie können ihre eigenen Vorlieben besser kennenlernen, ihre Abneigungen aufspüren und auf ihre eigenen Bedürfnisse Acht geben. In meiner eigenen Schulzeit konnte ich das nie erfahren. Ich habe mich immer angepasst, wusste eigentlich nie, was ich wollte und mochte. Ich wollte einfach immer das gleiche, wie meine Freundin. Das zog sich bis in meine Jugend so hin. Noch heute muss ich manchmal überlegen, ob ich eine Sache wirklich mag weil ICH es mag oder weil andere es mögen. Diesen Zwang nach Anpassung geben wir unseren Kindern durch soziale Kontakte der Freilerner nicht mit. Sie sollen in sich hinein spüren, was sie wirklich wollen. Wenn sie etwas nicht mögen, sollen sie es sagen und es wird meistens von ihren Spielpartnern respektiert und beachtet.

Freilerner und soziale Kontakte

Soziale Kontakte der Freilerner: Fazit

Zusammenfassend kann ich sagen, dass unsere Kinder als Freilerner auf Reisen sehr wohl soziale Kontakte haben und sie auch pflegen. Das ist ja das Gute bei den Reisefamilien: Wir haben immer die Möglichkeit, unseren Ort zu wechseln. So schauen wir, dass wir Freunde, die wir auf Reisen kennengelernt haben, auch regelmäßig wieder treffen. Bei diesen Treffen erfahren und erlernen unsere Kinder sogar sehr nachhaltige soziale Kompetenzen. Ein Spiel oder selbst überlegtes Projekt wird unter ihnen selten unterbrochen, dauert sehr lange an und kann am nächsten Tag weitergeführt werden. Die Kinder lernen, Rücksicht zu nehmen, auf die Besonderheiten der anderen einzugehen und auch die Altersunterschiede dabei zu beachten. Aber das wichtigste dabei ist: Sie lernen als Freilerner sich selbst und ihre eigenen Bedürfnisse viel besser und intensiver kennen und lernen dabei, für sich selbst einzustehen.

Nicht zu vergessen sind die Freunde, die in der alten Heimat immer noch vorhanden sind. Auch diese Freundschaften werden gepflegt. Unsere Kinder bleiben mit ihren Freunden im Kontakt, telefonieren, schreiben Postkarten oder schicken Sprachnachrichten. Wenn wir mal wieder zu Besuch in Deutschland sind, erfahren wir immer wieder, dass das Spiel unter den Kindern bei den Treffen sehr intensiv ist, sie holen die versäumte Zeit sozusagen wieder auf. Es ist toll zu beobachten, dass diese Freundschaften wirklich fest sind, denn die Kinder spielen miteinander, als wären sie nie getrennt gewesen. Wenn ich solche intensiven sozialen Interaktionen unter den Kindern beobachte, weiß ich genau: Ich muss mir keine Sorgen machen, denn meine Kinder haben als Freilerner definitiv genug soziale Kontakte!

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